Jüngste Forschungsarbeiten der University of Texas in Austin (UT Austin) haben gezeigt, wie eine Software für künstliche Intelligenz (KI) die Gedanken eines Menschen per MRT-Scan „lesen“ und mit beeindruckender Genauigkeit in Worte umwandeln kann.
Dies ist eine von vielen aufkommenden Technologien, die menschliche oder tierische Gehirnströme entschlüsseln.
In den letzten zehn Jahren wurden weitere Tests zur Übertragung von Gehirnströmen in verwertbare Ergebnisse wie Text oder Bilder oder sogar physische Aktionen wie das Schießen eines Balls durchgeführt.
Die wichtigste Frage dabei ist, wie ethisch es ist, diese Technologien zum Erforschen des privatsten Wertes, den wir alle besitzen, einzusetzen – unserer Gedanken.
Damit wird eine Grenze überschritten, die uns den letzten Rest an individueller Freiheit nehmen könnte, die uns noch bleibt: das Recht auf unsere eigenen Gedanken. Und offenbar haben einige Länder bereits damit begonnen.
Nähern wir uns einer dystopischen Zukunft, in der Regierungen potenzielle Verbrechen erkennen können, bevor sie überhaupt begangen werden?
Sollten wir jetzt eine Grenze ziehen, was wir mit diesen Technologien niemals tun sollten, bevor es zu spät ist?
Vor der Erörterung der eher philosophischen Fragen sollten wir uns zunächst einen Überblick über die heutige Technologie verschaffen.
Gedanken von Menschen und Tieren lesen: Sind wir so weit?
In den letzten zehn Jahren gab es relativ viele Versuche, die Gehirnströme von Menschen und Tieren zu lesen und sie in Bilder, Texte, Videos oder Roboterbewegungen zu übersetzen.
Am bekanntesten ist wohl Elon Musks Neuralink – ein Gehirncomputer, der es Menschen ermöglichen soll, Geräte mit Hilfe ihrer Gehirnaktivität fernzusteuern.
Die Experimente sind jedoch noch im Gange, und die Ergebnisse sind größtenteils spekulativ (abgesehen davon, dass sie höchst umstritten sind). Deshalb wollen wir das Thema ein anderes Mal aufgreifen.
Andere Forschungsbereiche haben ihr ursprüngliches Ziel mit unglaublichen Ergebnissen erreicht. Im Jahr 2018 gelang es einem Labor der University of Toronto Scarborough, Bilder von menschlichen Gesichtern durch das Lesen von Gehirnströmen zu extrapolieren.
Diese Technologie soll Zeugen von Verbrechen dabei helfen, potenzielle Täter mit größerer Sicherheit zu erkennen, und könnte dazu dienen, die Genauigkeit der etwas fehlerhaften Gesichtserkennung zumindest zu verbessern.
Ein anderes Projekt soll Menschen, die ihre Sprach- oder Schreibfähigkeit verloren haben, bei der Wiederherstellung ihrer Kommunikationsmöglichkeiten mit einer Gehirn-Computer-Schnittstelle unterstützen.
Es kann Gehirnwellen mit einer Geschwindigkeit von 90 Zeichen pro Minute und einer Genauigkeit von fast 95 % in getippte Wörter umwandeln.
Die jüngsten Experimente aus dem vergangenen Jahr nutzen die volle Leistungsfähigkeit der KI zur Optimierung der Umsetzung neuronaler Signale in verwertbare Ergebnisse.
Zwei prominente Beispiele sind die Umwandlung des Gesehenen von Tieren in Videos durch Auslesen der von einer Sonde aufgezeichneten Cortex-Signale und die Umwandlung menschlicher Gehirnströme in Wörter mit erstaunlicher Genauigkeit ohne chirurgisches Implantat.
Wir sind noch nicht so weit, dass wir die Gedanken von Menschen lesen können, indem wir eine magische, Gedanken lesende Pistole auf ein Ziel richten.
Die überwiegende Mehrheit dieser Experimente erfordert komplexe und invasive Verfahren, bei denen ein Gerät in das Gehirn der Versuchspersonen implantiert wird oder sie sich zumindest stundenlangen spezifischen Schulungen und medizinischen Bildgebungssitzungen zur Erfassung ihrer einzigartigen anatomischen Struktur unterziehen müssen.
Das hat jedoch einige Menschen nicht davon abgehalten, sie für … sagen wir mal, weniger ethische Zwecke zu verwenden, als Schlaganfallpatienten beim Wiedererlangen ihrer Sprach- oder Bewegungsfähigkeit zu helfen.
Gedankenlesen zum Ausspionieren von Menschen
Wenn Sie erraten haben, welche Regierung auf diesem Planeten bereits mit Gedankenlesetechnologie experimentiert hat, dann liegen Sie wahrscheinlich richtig.
Nach Angaben der South China Morning Post haben chinesische Unternehmen Gehirndecoder in Form von Stirnbändern, Mützen oder Helmen eingesetzt, um die Emotionen von Fabrikarbeitern und Studenten zu lesen.
Auch Helikopter-Eltern in China können dank Stirnbändern den Aufmerksamkeitsgrad ihrer Kinder überwachen.
Auch wenn diese Geräte auf die Kontrolle der Anwesenheit und Aufmerksamkeit von Schülern oder der Emotionen von Fabrikarbeitern ausgerichtet sind.
Ob die Qualität und die Genauigkeit der Ergebnisse hoch sind, ist umstritten. Dennoch wird die Schwelle zur obligatorischen Invasion der Gedanken überschritten.
Wer wird die Wächter bewachen?
Wenn es etwas gibt, das uns die jüngste Geschichte sehr gut gelehrt hat, dann ist es, dass nichts in dieser Welt so wertvoll ist (und so locker gehandhabt wird) wie private Daten.
Jeder, von riesigen Unternehmen bis hin zu Regierungen und sogar kriminellen und terroristischen Organisationen, schnüffelt in dem, was eigentlich privat sein sollte.
Allein die Vorstellung, dass man Informationen aus dem menschlichen Gehirn extrahieren kann, ist bestenfalls beängstigend.
Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Technologien für scheinbar „gute Zwecke“ eingesetzt werden könnten, etwa um den Strafverfolgungsbehörden bei der Ermittlung von Verdächtigen zu helfen oder Verbrechen im Vorfeld zu verhindern.
Wir wissen bereits, wie leicht es ist, einige oder alle unsere Freiheiten im Namen einer „hohen Gefahr“ wie einer terroristischen Bedrohung oder einer weltweiten Krankheit zu verlieren. Rechte, die wir nie wieder zurückerhalten werden.
Wir haben keine natürliche Möglichkeit, das herauszufiltern, was unser Verstand in unserem Schädel erzeugt. Und unsere Gedanken sollten niemals jemandem außer uns selbst offenbart werden.
Das ist nicht anders, als wenn man gezwungen wird, nackt herumzulaufen – jeder hat das Recht auf einen Schutz der Privatsphäre.
Die Menschenwürde muss um jeden Preis geschützt werden, und die Verletzung unserer Privatsphäre kann auf subtilere Weise erfolgen als durch Verhaftung und polizeiliches Gedankenlesen.
Es gibt zwar einige Schritte zur Anerkennung des Rechts auf Gedankenfreiheit, doch wie immer kann es sein, dass sich die Technologie – die in den verschiedenen Ländern zersplittert ist – schneller entwickelt, als die lokale Gesetzgebung mithalten kann.
Der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen (UN) hat die Existenz von „Neuro-Rechten“ bereits anerkannt. Damit soll sichergestellt werden, dass die Menschenrechte auf „ganzheitliche, integrative und handlungsorientierte Weise“ geschützt werden.
Nichtregierungsorganisationen wie The Neurorights Foundation entwickeln einen Rahmen zur Schaffung eines internationalen Konsenses darüber, was Neurorechte sind und wie sie behandelt werden sollten.
Noch wichtiger ist, dass Rechte wie die „Gedanken- und Gewissensfreiheit“ bereits in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (engl. Universal Declaration of Human Rights, UDHR) festgeschrieben wurden, lange bevor diese Technologie überhaupt erfunden wurde.
Es kommt nur darauf an, sie heute und nicht erst morgen möglichst sinnvoll und ethisch zu nutzen.
Fazit
Die Entschlüsselung unserer Gedanken ist wirklich eine faszinierende Idee, deren Anwendungen so schön und futuristisch sind, dass man sie nur als „Wunderwerke der Technologie“ bezeichnen kann.
Doch wie bei jeder leistungsstarken und revolutionären Technologie besteht auch hier die Gefahr, dass sie falsch gehandhabt wird, falls einige Regeln nicht so genau wie möglich festgelegt werden.
Schon jetzt werden unsere Rechte im Namen der „Sicherheit“ immer weiter eingeschränkt, und dies geschieht täglich. Es ist leicht, uns vorzugaukeln, dass wir diese Sicherheit brauchen.
Aber wie Benjamin Franklin sagte: „Diejenigen, die wesentliche Freiheiten aufgeben, um sich damit vorübergehend ein wenig Sicherheit zu erkaufen, verdienen weder Freiheit noch Sicherheit.“