Europa gilt als Zentrum zahlreicher IT-Vorschriften und Compliance-Rahmenwerke. Bei jeder technischen Innovation scheint die Europäische Kommission ihre bestehenden Richtlinien zu aktualisieren oder ein entsprechendes Gesetz zu erlassen.
Die EU ist dafür bekannt, dass sie nicht davor zurückschreckt, Tech-Giganten wegen wettbewerbswidriger Praktiken oder der Nichteinhaltung von Datenschutzgesetzen wie der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) mit hohen Geldstrafen zu belegen.
Auch wenn diese Maßnahmen auf echte Bedenken eingehen, wird zunehmend darüber diskutiert, ob die strengen europäischen Vorschriften die eigenen technologischen Ambitionen behindern könnten.
Befürworter argumentieren, dass diese Bestimmungen fairere Wettbewerbsbedingungen für europäische Startups schaffen und die Nutzer vor potenziellem Missbrauch schützen.
Kritiker warnen jedoch, dass die Komplexität Investitionen abschreckt und die Innovation auf dem Kontinent verlangsamt.
Sie verweisen auf die erhebliche Finanzierungslücke im Vergleich zu den USA und China, wo weniger strenge Vorschriften den Aufstieg globaler Technologieunternehmen begünstigt haben.
Wichtigste Erkenntnisse
- Die strenge Regulierung der Technologiebranche in Europa kann ein Hindernis für Innovation und Investitionen in das europäische Ökosystem darstellen.
- Trotz der Vorreiterrolle bei der Regulierung liegt Europa bei wichtigen technologischen Fortschritten hinter den USA und China zurück.
- Die mit den EU-Richtlinien verbundenen Kosten und umfangreichen Verfahren könnten europäische Unternehmen weltweit benachteiligen.
- Es bedarf eines Gleichgewichts zwischen Regulierung und Innovation. Dazu gibt es Vorschläge für einen flexibleren und strafferen Regulierungsansatz.
Die aktuelle Regulierungspraxis der EU im Tech-Bereich
Im Laufe der Jahre haben die digitalen Vorschriften der EU den Schutz von Nutzerdaten sowie die Schaffung einheitlicher Datenschutzstandards begünstigt. Dies zeigt sich in der DSGVO, dem bekanntesten digitalen Gesetz der EU.
Die DSGVO scheint zwar in aller Munde zu sein, ist aber nur ein winziges Stück vom Kuchen. Es gibt auch das KI-Gesetz, eine Verordnung über die Entwicklung, den Einsatz und die Nutzung von künstlicher Intelligenz in der EU.
Der im Juni 2024 in Kraft getretene AI Act ist das weltweit erste umfassende Gesetz zur Regulierung von KI.
Es verfolgt einen risikobasierten Ansatz, indem es KI-Systeme auf der Grundlage ihrer potenziellen Auswirkungen kategorisiert und strengere Regeln für Anwendungen mit höherem Risiko vorschreibt sowie bestimmte KI-Praktiken verbietet, die als inakzeptabel gelten.
Der jüngste Regulierungsschwerpunkt ist der Digital Markets Act (DMA). Er zielt auf große Technologieunternehmen ab, die als „Gatekeeper“ bezeichnet werden, darunter Alphabet, Amazon, Apple, ByteDance, Meta und Microsoft.
Das Gesetz, das am 7. März 2024 in Kraft trat, verpflichtet diese Konzerne zur Einhaltung strenger Auflagen, die wettbewerbswidriges Verhalten eindämmen und Fairness auf den digitalen Märkten fördern sollen.
So ist Apple beispielsweise in der Pflicht, alternative App-Stores auf iOS zuzulassen, während Google seine Such-, Chrome- und Android-Dienste anpassen musste.
Mehrere Länder, darunter Japan und das Vereinigte Königreich, haben den DMA bereits als Vorbild für ihre eigenen Regulierungen im Technologiebereich gewählt.
Im Mai verabschiedete das britische Parlament das Gesetz über digitale Märkte, Wettbewerb und Verbraucher (Digital Markets, Competition, and Consumers Act, DMCC) – ein Gesetzentwurf zur Regulierung großer Tech-Konzerne, der dem DMA der EU entspricht.
Mehr Regulierung, aber weniger Innovationen
Die Regulierungspolitik in Europa ist von der Bereitschaft geprägt, es mit großen Technologieunternehmen aufzunehmen und globale Standards zu setzen.
Die verfügbaren Daten zeigen jedoch auch, dass der Ausgleich zwischen Innovation und Regulierung eine Herausforderung darstellt.
In einem Artikel von Euronews wird berichtet, dass Europa trotz seiner Position als Innovationsgigant vor einem Jahrhundert kurz davor steht, „tiefgreifende technologische Innovationen“ zu verpassen und bei wichtigen technologischen Fortschritten hinter den USA und China zurückzubleiben.
Diese Befürchtung wird auch in einem Forschungspapier des litauischen Instituts für die freie Marktwirtschaft beschrieben, in dem Bedenken über den EU-Rechtsakt für digitale Märkte (DMA) und sein Potenzial, Innovationen im Technologiesektor zu ersticken, geäußert werden.
Die Studie legt nahe, dass die Beschränkungen des DMA für große digitale Plattformen ungewollt den technologischen Fortschritt verlangsamen könnten, indem sie die Anreize für Investitionen in neue Technologien verringern.
Die Forscher argumentieren, dass die mit den neuen Vorschriften verbundenen Befolgungskosten zu höheren Preisen, schlechteren Dienstleistungen und weniger digitalen Produkten von „Gatekeeper“-Plattformen führen könnten.
Sie behaupten, dass die Marktkräfte und die Präferenzen der Verbraucher in der Vergangenheit bei der Regulierung digitaler Plattformen effektiver waren als staatlich auferlegte Regeln, und nennen als Beispiele den Niedergang von MySpace und Nokia.
Außerdem wird in dem Dokument die Befürchtung geäußert, dass es dem DMA an einer langfristigen Perspektive mangelt, wodurch die natürliche Entwicklung des digitalen Marktes und das Entstehen neuer Wettbewerber behindert werden könnten.
Während mit dem DMA gleiche Wettbewerbsbedingungen geschaffen werden sollen, warnen die Forscher davor, dass diese neuen Regeln den Wettbewerb und die Innovation entgegen den beabsichtigten Zielen tatsächlich einschränken könnten.
Auch die Public Cloud Group hob hervor, wie das kürzlich verabschiedete KI-Gesetz die Innovation in der EU behindern könnte.
Sie wies darauf hin, dass die Verordnung zwar auf die Verringerung von Risiken und die Stärkung des Vertrauens in KI-Technologien abzielt, aber aufgrund der umfangreichen Compliance-Verfahren gleichzeitig die Innovationsfähigkeit von Startups und KMU beeinträchtigen könnte.
Es besteht daher das Risiko, dass diese Vorschriften die Entwicklung neuer KI-Technologien verlangsamen und die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen auf dem Weltmarkt behindern könnten.
Wegen seiner Vorschriften bleibt Europa im Tech-Bereich auf der Strecke
Trotz der führenden Rolle bei der Regulierung weist ein Bericht von Foreign Policy auf das Ungleichgewicht zwischen der amerikanischen und der europäischen Technologiebranche hin.
Während in den USA 36 der 50 weltweit größten Technologieunternehmen ansässig sind, entfallen auf Europa nur drei.
Diese Dominanz erstreckt sich auch auf Startups, bei denen die USA einen Vorsprung von 30:1 gegenüber den in der EU beheimateten Unicorns haben.
Der Bericht hebt die europäische Regulierungslandschaft als einen Schlüsselfaktor hervor.
Obwohl sie sich mit Tech-Talenten wie den Collison-Brüdern (Stripe) und Jan Koum (WhatsApp) rühmen können, waren diese Unternehmer in den USA erfolgreich, wo es einfacher war, Finanzmittel zu erhalten und Tech-Startups ohne große regulatorische Eingriffe zu entwickeln.
Laut der Studie „State of European Tech 2023“ liegt Europa bei der Gründung von Startups vor den Vereinigten Staaten.
Foreign Policy berichtet jedoch, dass europäische Tech-Startups häufig in die USA ziehen, weil sie das US-Geschäftsklima mit weniger Bürokratie und flexibleren Arbeitsgesetzen für startup-freundlicher halten.
Fazit
Eine regulatorische Aufsicht ist zwar notwendig, aber zu strenge Maßnahmen bergen die Gefahr, die Innovation im Tech-Ökosystem zu ersticken.
Die USA mit ihren weniger strengen Vorschriften sind zwar nicht unproblematisch, aber selbst mit einem stärker regulierten Technologieumfeld könnten die USA für Unternehmer immer noch ein attraktiveres Ziel sein als Europa.
Der Weg in die Zukunft besteht darin, ein Gleichgewicht zwischen der Wahrung der öffentlichen Interessen und der Förderung des technologischen Fortschritts zu finden.
Die Tendenz, jede technologische Innovation „als erster zu regulieren“, sollte einem entspannteren Ansatz Platz machen. So könnten sich die Regulierungsbehörden ein Bild davon machen, wohin sich die technologische Innovation entwickelt, bevor sie Gesetze darüber verhängen.
Dieser Ansatz könnte den rechtlichen Rahmenbedingungen einen Hauch von Flexibilität verleihen und Sicherheit gewährleisten, ohne den Fortschritt zu behindern.
Es besteht zudem die dringende Notwendigkeit, die Verfahren zur Einhaltung der Vorschriften zu entrümpeln.
Der derzeitige Regulierungsprozess in der EU ist zwar gut gemeint, stellt aber oft schwerfällige Anforderungen, die nicht nur den großen Technologieunternehmen, sondern auch den Startups das Leben schwer machen.
Damit Europa bei seinen Ambitionen im Technologiebereich einen zweiten Gang einlegen kann, ist eine intelligente Regulierung – und keine Überregulierung – der richtige Weg.