Ob beim Entsperren von Smartphones oder Einsteigen in ein Flugzeug in den USA – die Gesichtserkennung ist allgegenwärtig.
Auch wenn viele von uns mit dieser Technologie zur Autorisierung von Zahlungen über das Handy vertraut sind, wirkt das Bezahlen mit dem Gesicht an einer Kasse in einem Einkaufszentrum oder Supermarkt doch etwas unheimlich.
Schon vor über einem Jahrzehnt warnte Techopedia vor dem endgültigen Verschwinden der Privatsphäre im Internet.
Nun sind wir in der Gegenwart angekommen, und die Gesichtserkennung ist zum Mainstream geworden.
Es ist an der Zeit, die Abwägung zwischen Privatsphäre und Bequemlichkeit zu überdenken und zu überlegen, ob Gesichtserkennung am Checkout cool ist oder doch allzu Black Mirror-artig.
Wichtigste Erkenntnisse
- Die Technologie der Gesichtserkennung wird immer allgegenwärtiger, vom Entsperren von Smartphones bis hin zum Check-in am Flughafen.
- Der Einsatz von Gesichtserkennung für Zahlungen im Einzelhandel scheint praktisch zu sein. Allerdings wird dabei der Faktor Datenschutz außer Acht gelassen.
- Vorfälle mit unberechtigter Gesichtserkennung, wie z. B. an der University of Waterloo und im Einkaufszentrum von Cadillac Fairview, verdeutlichen die Risiken der Verletzung der Privatsphäre.
- Zahlreiche Datenpannen unterstreichen die Notwendigkeit der Informationssicherheit, bevor biometrische Technologien in großem Umfang im Einzelhandel eingesetzt werden.
Gesichtserkennung im Einzelhandel
Als an der University of Waterloo in Kanada intelligente Verkaufsautomaten aufgestellt wurden, dachte niemand daran, allzu viele Fragen zu stellen.
Sobald jedoch ein Schüler eine Packung M&Ms abholen wollte, erschien auf dem Display eine Fehlermeldung zur Gesichtserkennung.
Diese verriet, dass eine Software zur Gesichstanalyse zur Erfassung von Daten wie Alter und Geschlecht der Schüler verwendet wurde.
Die Studenten stellten fest, dass die Automaten von einem Schweizer Unternehmen namens Invenda stammen, das seine Technologie als Gesichtsanalyse und nicht als Gesichtserkennung bezeichnet.
Doch die Meldung „Invenda.Vending.FacialRecognition.App.exe – Anwendungsfehler“ ging aus den falschen Gründen viral.
Das Fehlen von Schildern, die Nutzer auf die Verwendung der Gesichtserkennung hinweisen, oder jeglicher Bitte um Zustimmung löste eine Debatte über die Überwachung durch Dritte und die Beeinträchtigung der Gesichtserkennung aus.
Nachdem die Nachricht auf Reddit viral ging, hat die Universität die Kameras mit Klebeband abgedeckt, die Software deaktiviert und versprochen, alle 29 Automaten zu entfernen.
Was auch immer es wert ist, Invenda beharrt darauf, dass es keine Gesichtserkennungssoftware sondern lediglich eine „Personenerkennung“ zusammen mit ungefähren demografischen Merkmalen einsetzt.
Dies ist jedoch nicht der einzige Fall, in dem eine ungenaue Formulierung oder ein fehlender Hinweis dazu führt, dass man ohne Vorwarnung eine Kamera vor die Nase gehalten bekommt.
Millionen von Menschen unwissentlich von der Gesichtserkennung in Einkaufszentren erfasst
Cadillac Fairview installierte vor vier Jahren Kameras in 12 Einkaufszentren in ganz Kanada.
Eine Untersuchung ergab später, dass das Unternehmen Gesichtserkennung eingesetzt und fünf Millionen Bilder von Kunden ohne deren Wissen oder Zustimmung aufgenommen hatte.
Die Ermittlung ergab, dass die Gesichtserkennungssoftware Daten wie das geschätzte Alter und Geschlecht eines jeden Käufers erfasste.
Trotz der Löschung der Bilder wurde festgestellt, dass ein Dritter die aus den Aufnahmen gewonnenen biometrischen Daten in einer zentralen Datenbank speicherte.
Wow. Mall owner Cadillac Fairview "embedded cameras inside their digital information kiosks" and used facial recognition software to analyze 5-million images of shoppers "without their knowledge or consent," according to Canada's privacy commissionerhttps://t.co/Li8eeTt5UE
— Susan Krashinsky Robertson (@susinsky) October 29, 2020
Zwar versicherte Cadillac Fairview, von der Speicherung der Daten durch den Dritten nichts gewusst zu haben, geriet es in eine schwierige Lage.
Letztendlich trägt die Firma die Verantwortung für die Entscheidung, ob sie auf diese Daten zugreifen kann.
Es stellte sich also die Frage, was passieren würde, wenn jemand die Daten an einen anderen Dritten verkauft oder sie im Rahmen einer Datenschutzverletzung durchsickern lässt.
Angesichts weiterer großer Verstöße wächst die Sorge um Datensicherheit
Werden Daten erfasst, sollte man zumindest darauf vertrauen können, dass das mit der Erhebung betraute Unternehmen die Daten sicher behandelt.
Doch ein weiteres Jahr der Vorfälle zeigt etwas anderes.
Im Juni bestätigte Ticketmaster eine Datenpanne, von der 560 Millionen Nutzer betroffen waren.
Darauf folgte leider auch die Nachricht, dass die Mobilfunkkunden von AT&T von der Kompromittierung ihrer Anruf- und SMS-Aufzeichnungen erfuhren – ein weiteres Beispiel für den Verlust persönlicher Daten durch Großkonzerne.
Darüber hinaus wurde ein von Banken und der britischen Polizei genutztes biometrisches System angegriffen.
Diese Vorfälle verdeutlichen die Risiken, die das Anvertrauen sensibler biometrischer Daten an Organisationen mit sich bringt, wenn die Folgen eines Verstoßes viel größer wären.
Zunächst muss das Vertrauen in die Fähigkeit der Unternehmen zur Sicherung aller Daten gestärkt werden, bevor man die Einbeziehung biometrischer Daten überhaupt in Betracht zieht.
Datenschutzdebatte rund um die Gesichtserkennung im Einzelhandel
Datenschützer haben Bedenken über den leicht zwanghaften Charakter der Gesichtserkennung in einigen Shops geäußert.
Wer an der Kasse steht und erwartet, dass er automatisch zustimmt, sein Gesicht für die Bezahlung oder für Sicherheitsmerkmale zu verwenden, hat die Illusion einer Wahlmöglichkeit.
In einer Klage gegen große Unternehmen, darunter Amazon und Starbucks, wurde Big Tech vorgeworfen, durch die Weitergabe biometrischer Daten an Drittparteien zu profitieren.
Die Gegenwehr endete abrupt, nachdem das Gerichtsverfahren abgewiesen wurde.
Die Entscheidung des Gerichts hat jedoch das wachsende Unbehagen über den Einsatz der Gesichtserkennung in Geschäften nicht aufgehalten.
Viele betrachten die Technologie als Überwachung und unnötigen Eingriff in die Privatsphäre.
Auch wenn sie heutzutage für Zahlungen verwendet wird, fragen sich viele, ob sie sich zu einer Verfolgung des Kundenverhaltens, gezielter Werbung oder sogar zur Diskriminierung aufgrund persönlicher Merkmale wie Ethnie und Alter entwickeln könnte.
Wir akzeptieren bereits, dass jeder Klick und jede Bewegung im Internet eine Flut von Daten über unsere Online-Gewohnheiten erzeugt.
Die Übertragung dieses Trackings auf die physische Welt könnte jedoch zu einer kontinuierlichen Kontrolle führen und grünes Licht für die Nutzung unserer Daten über Zahlungen hinaus geben.
Die Komplexität der Gesichtserkennung in Läden
Die Schnelligkeit und Bequemlichkeit der Gesichtserkennung bietet viele potenzielle Vorteile, vor allem bei Aufgaben wie der Überprüfung des Alters beim Kauf von Alkohol oder der Beschleunigung von Kassenvorgängen.
Biometrische Systeme können auch die Sicherheit und Effizienz von Geschäften erhöhen, indem sie Personen auf Zutrittslisten schnell identifizieren oder Ladendiebstahl verhindern.
Ein Netzwerk von Kameras in jedem Geschäft, die miteinander kommunizieren und bekannte Ladendiebe oder gesperrte Kunden erkennen, mag zunächst wie eine gute Idee klingen.
Es gibt jedoch Bedenken hinsichtlich der Genauigkeit und der Kontrolle, die diese Technologie in den Stadtvierteln haben könnte.
Auf die Frage nach der zunehmenden Zahl von Kameras, die jeden Ihrer Schritte beobachten, könnte man sagen: „Hey, wenn man nichts zu verbergen hat, braucht man auch nichts zu befürchten“.
Dieses Argument kann jedoch schnell widerlegt werden, wenn man fälschlicherweise als Ladendieb identifiziert, eines nicht begangenen Verbrechens beschuldigt oder zu einer Person von Interesse wird.
Außerdem gibt es viele praktische Bedenken hinsichtlich der Genauigkeit der Technologie, insbesondere wenn sich das Aussehen einer Person ändert.
In einem Zeitalter, in dem Haartransplantationen, kosmetische Behandlungen und ein neues Hollywood-Lächeln nur einen kurzen Flug entfernt sind, ist der Einsatz von Gesichtserkennungstechnologien für alltägliche Transaktionen viel komplexer, als man vielleicht denkt.
Die Verwendung des Gesichts zum schnellen Abschluss einer Transaktion könnte als Verbesserung des Einkaufserlebnisses betrachtet werden, ähnlich wie die Ein-Klick-Warenkörbe beim Online-Shopping.
Doch wenn man sich die Technologie hinter den Kulissen anschaut, könnte die Begeisterung in Angst umschlagen.
Die Nachrichten über den vermehrten Einsatz von Gesichtserkennung in armen Gegenden beispielsweise sind weit entfernt vom Traum eines nahtlosen „Shop-and-Go“, der uns verkauft wird.
Fazit
Obwohl jeder Einzelhändler mit ehrenwerten Absichten an die Sache herangeht, darf nicht übersehen werden, dass öffentlichkeitswirksame Datenschutzverletzungen zur Norm geworden sind.
Die Risiken von Eingriffen in die Privatsphäre, die Datensicherheit, der potenzielle Missbrauch sowie die ethischen Implikationen jeglicher Form von Biometrie im Einzelhandel müssen gründlich analysiert werden.
In einer überwachungsintensiven Gesellschaft, die sich wie eine ständige polizeiliche Gegenüberstellung anfühlt, könnte die Meldung über das Bekanntwerden der eigenen biometrischen Daten im Internet viel näher sein, als man denkt.
Wenn Bequemlichkeit auf Kosten der Privatsphäre geht, stellt sich die Frage, wer wirklich davon profitiert.
Quellenangaben
- hey so why do the stupid m&m machines have facial recognition?
- Vending machines spying on you? Privacy office opens files
- News release: Cadillac Fairview collected 5 million shoppers’ images – Office of the Privacy Commissioner of Canada
- Susan Krashinsky Robertson auf X
- Ticketmaster confirms data breach impacting 560 million customers
- Report: Data Breach in Biometric Security Platform Affecting Millions of Users
- Biometric data privacy lawsuit against Amazon, Starbucks mostly thrown out
- ‘I was misidentified as shoplifter by facial recognition tech’ – BBC News
- Facial recognition cameras in supermarkets ‘targeted at poor areas’ in England