Im Mittelpunkt der Diskussion über die Folgen der künstlichen Intelligenz (KI) steht ihr Potenzial zur Ergänzung oder Übernahme von Arbeitsplätzen und zur Steigerung der Produktivität.
Die Einführung von KI in einer Reihe von Bereichen in großen Volkswirtschaften könnte sich jedoch auch auf die Finanzmärkte auswirken – durch Anhebung der Realzinsen und Anleiherenditen sowie Erhöhung der Aktienkurse.
KI könnte Realzinsen und Anleiherenditen in die Höhe treiben
Die um die Inflation bereinigten Realzinsen richten sich nach der realen Wachstumsrate einer Volkswirtschaft und dem Anteil des an die Kapitalbesitzer fließenden Gewinns.
Investitionen in künstliche Intelligenz werden die Produktivität steigern und das Wirtschaftswachstum in den Ländern begünstigen, die von den Vorteilen profitieren können.
Dies wiederum wird die Realzinsen erhöhen, so eine Analyse von Capital Economics (Zum Lesen des Berichts ist eine Registrierung erforderlich).
Der Realzins in einer Volkswirtschaft steht in einem negativen Zusammenhang mit der allgemeinen Sparquote, die aufgrund der Erwartung höherer zukünftiger Einkommen im Zuge des KI-getriebenen Wirtschaftswachstums sinken könnte.
Es gibt allerdings die Möglichkeit, dass die Sparquote steigt, wenn Kapitalbesitzer oder qualifizierte Arbeitskräfte mehr profitieren als Geringqualifizierte, da sie tendenziell höhere Sparquoten haben.
Ein Anstieg der Realzinsen würde laut Capital Economics das bei früheren technologischen Revolutionen beobachtete Muster fortsetzen.
Schätzungen der Bank of England zufolge sind die langfristigen Realzinsen nach technologischen Durchbrüchen in der Regel gestiegen, da sich die Vorteile der neuen Entdeckungen auf die Wirtschaft auswirkten.
Die realen Renditen von Staatsanleihen dürften ebenfalls über dem Durchschnittsniveau der letzten zehn Jahre liegen, weil sie hauptsächlich von den Erwartungen für die kurzfristigen Realzinsen abhängen.
Capital Economics geht davon aus, dass „die Gleichgewichtszinsen und die Renditen ‚sicherer‘ Anleihen höher sein werden als im Jahrzehnt vor der Pandemie, aber nicht dramatisch, und dass der Anstieg schrittweise erfolgen wird“.
„Wir vermuten, dass die Rendite der 10-jährigen US-Staatsanleihen von durchschnittlich 2,4 % in den 2010er Jahren auf etwa 4,0–4,5 % in den 2030ern steigen wird, wobei die reale Rendite auf etwa 1,5–2,0 % klettern wird.“
KI treibt Preise für Aktien aus der Branche an
Während höhere Anleiherenditen in der Regel einen Abwärtsdruck auf die als risikoreicher geltenden Aktienmarktbewertungen ausüben würden, dürfte dies im Laufe der Zeit durch ein schnelleres Wachstum der Unternehmensgewinne deutlich ausgeglichen werden.
Der Einsatz von KI könnte die Firmenerträge steigern und gleichzeitig den Anteil der Arbeitskräfte schneller reduzieren als die Gesamtproduktion, was zu einem rascheren Wachstum der Aktienkurse führt.
Der Auftrieb für Aktien wird sich wahrscheinlich auf die Anbieter von KI im Technologiesektor konzentrieren.
Dies hat sich bereits in dem starken Anstieg der Wertpapierkurse der größten Technologieunternehmen und KI-Spezialisten in der ersten Hälfte 2023 gezeigt, als der Hype um die KI einsetzte und die Bedenken über das sich insgesamt verlangsamende Wirtschaftswachstum überwog.
Branchen, die auf sich wiederholende Aufgaben angewiesen sind, werden wahrscheinlich ihre Prozesse mithilfe von KI-Technologien automatisieren und so von einer höheren Präzision und Effizienz profitieren.
Auch für Sektoren, die mit großen Datenmengen arbeiten, wird der Einsatz von KI-Tools zur Bewältigung aufwändigerer Aufgaben von Vorteil sein.
Selbst Wirtschaftszweige, in denen KI keinen direkten Nutzen hat – zum Beispiel in Bereichen mit vielen manuellen Vorgängen – werden voraussichtlich trotzdem indirekt davon profitieren, da die Gewinne aus der Einführung von KI im Allgemeinen die Wirtschaft unterstützen.
Die Finanzmärkte in den entwickelten Volkswirtschaften werden die größten Auswirkungen auf die Aktienkurse erleben. In den USA dürften die meisten Produktivitätszuwächse durch den Einsatz von KI-Technologien erzielt werden.
Die Mehrzahl der Unternehmen, die im Mittelpunkt der jüngsten Begeisterung der Anleger für KI stehen, sind an US-Börsen notiert.
Die Dominanz der USA auf den Märkten für Verbrauchertechnologie in den letzten Jahrzehnten hat zur Entstehung von Zentren wie dem Silicon Valley geführt, das KI-Startups anzieht und die Möglichkeit einer Übernahme durch Tech-Giganten bietet.
Die Zahl der KI-Startups, die eine Finanzierung in den USA erhalten, hat in den letzten zehn Jahren jedes andere Land weit übertroffen.
Dieser Innovationsvorsprung zeigt sich bereits auf den Aktienmärkten und macht die USA zu einem Vorreiter.
Die führenden Volkswirtschaften Asiens, wie Hongkong, Singapur, Südkorea und Taiwan, haben neue Technologien meist relativ schnell übernommen.
Dies wiederum könnte dazu beitragen, dass sich die Aktienmärkte der Region besser entwickeln – insbesondere angesichts der hohen Gewichtung von Technologiesektoren in ihren Aktienindizes.
Schafft der KI-Hype eine Börsenblase?
Die Veröffentlichung mehrerer hochkarätiger generativer KI-Tools hat unter den Anlegern für Aufregung gesorgt, da sie auf die potenziellen Fähigkeiten der KI hingewiesen haben.
Die Aktienkurse von Unternehmen, die auf KI-Software und Halbleiterproduktion spezialisiert sind, wie Nvidia, Meta und C3.ai, sind seit der Einführung von OpenAIs ChatGPT im November 2022 um mehr als 100 % gestiegen.
Wie bereits erwähnt, haben die bedeutendsten Technologieunternehmen in einer Zeit überdurchschnittlich gut abgeschnitten, in der der übrige Aktienmarkt aufgrund von Sorgen über ein nachlassendes Wirtschaftswachstum unter Druck geraten ist.
Nur etwas mehr als ein Viertel der Aktien im S&P 500 Index der größten US-Unternehmen sind im vergangenen Jahr stärker gestiegen als der Gesamtindex – das ist laut Capital Economics der niedrigste Anteil seit Beginn der Aufzeichnungen.
Dies wirft die Frage auf, ob sich bei den KI-Aktien eine Spekulationsblase bildet, ähnlich wie bei der Dotcom-Blase, die im Jahr 2000 nach einer übermäßigen Rallye bei den Internet-Titeln platzte.
Das letzte Mal, dass die Zuwächse im S&P 500 auf so wenige Aktien beschränkt waren, war während dieser Blase, so Capital Economics.
„KI hat eindeutig das Potenzial, eine transformative Technologie zu sein, die die Art und Weise revolutioniert, wie Waren und Dienstleistungen produziert und den Verbrauchern angeboten werden. Aber das Ausmaß der derzeitigen Euphorie deutet darauf hin, dass die Investoren die potenziellen finanziellen Gewinne aus der Technologie im Voraus kristallisieren wollen.“
Die Entstehung und das eventuelle Platzen einer KI-bezogenen Börsenblase würde vor allem US-Aktien betreffen, da europäische Wertpapiere angesichts der wenigen großen Technologieunternehmen in der Region – mit Ausnahme von ASML und SAP – nur einen begrenzten Auftrieb erhalten.
Dies könnte die Fähigkeit der europäischen Börsen beeinträchtigen, in den kommenden Jahren mit dem US-Markt Schritt zu halten, zumal der Erfolg großer Technologie- und Telekommunikationsunternehmen wie Nokia und Ericsson die europäischen Aktien während der Dotcom-Blase in die Höhe trieb.
Durch den Hochfrequenzhandel und die zunehmende Rolle der sozialen Medien bei der Beeinflussung von Kursschwankungen bewegen sich die Märkte tendenziell schneller als in den späten 1990er Jahren.
Alle Sektoren des S&P 500 schnitten in der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts gut ab, selbst der Bereich der Informationstechnologie (IT) übertraf diese Entwicklung.
Capital Economics ist der Ansicht, dass die KI-Revolution wahrscheinlich ähnlich verlaufen wird. Es geht davon aus, dass die Blase „noch mindestens zwei Jahre andauern wird“ und dass sich der Aktienmarkt im Allgemeinen erholen wird, während sich die Blase aufbläht: Seine Prognosen für 2024 und Ende 2025 für den S&P 500 liegen bei 5.500 bzw. 6.500.
Die Auswirkungen einer straffen Geldpolitik auf das Wirtschaftswachstum könnten jedoch das Aufblähen einer Börsenblase verhindern.
Aktien verlieren in der Regel bei einem Konjunkturabschwung an Wert, und der IT-Sektor hat in den letzten Rezessionen im Durchschnitt am schlechtesten abgeschnitten.
„Eine Phase langsameren Wachstums könnte daher die Begeisterung für KI vorübergehend abflauen lassen. Wir rechnen jedoch damit, dass dies eher die Luft aus der Blase zieht, als dass es sie platzen lässt.“
Unabhängig davon würde das Platzen einer Blase die KI-Revolution wohl ebenso wenig aufhalten, wie das Platzen der Dotcom-Blase die Entwicklung des Internets stoppte.
KI wird wahrscheinlich auch einen nachhaltigen Einfluss auf die Geschäftstätigkeit von Unternehmen in vielen Branchen haben.
Fazit
Die Auswirkungen der KI-Technologien auf die Produktivitätssteigerung können zu einem bescheidenen und allmählichen Anstieg der Realzinsen führen, wodurch die realen Renditen von Staatsanleihen über dem durchschnittlichen Niveau der letzten zehn Jahre bleiben würden.
Obwohl höhere Realzinsen die Aktienkurse insgesamt belasten könnten, dürften einige Titel von der Einführung der KI profitieren, da das schnellere Wirtschaftswachstum die Unternehmensgewinne ankurbelt.
Angesichts der weit verbreiteten Anwendungen für generative KI könnten die meisten Branchen Kursgewinne verzeichnen. Am meisten werden jedoch Firmen mit Schwerpunkt auf KI-Software und -Hardware profitieren, vor allem in naher Zukunft.